ZEIT Magazin Online

2022-09-03 10:43:50 By : Mr. ZC Peng

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende Nr. 20/2022. Die aktuelle Ausgabe lesen Sie hier.

Teimaz Shahverdi, 41, ist Künstler und Gründer des Modelabels Azita. Badia Ouahi, 44, ist Inhaberin von Badias Kitchen. Das Paar lebt mit drei Söhnen in einer Altbauwohnung im Nordend

Teimaz Shahverdi: Kurz vor dem ersten Lockdown 2020 haben wir diese schöne Altbauwohnung mit sechs Zimmern gefunden und sind innerhalb von drei Tagen umgezogen. Ursprünglich lag die Küche in dem jetzigen Kinderzimmer unseres Jüngsten, aber wir fanden, dass der größere Raum mit dem Balkon und der Flügeltür zum Wohnzimmer hin der bessere Ort für unsere Küche ist.

Badia Ouahi: In unserer Küche kommt alles auf den Tisch, wir verbergen nicht mal unsere Meinungsverschiedenheiten vor den Kindern, vor Freunden oder vor den Nachbarn. Wir haben auch keine Vorratskammer, in der wir Dinge verstecken, man hat die Lebensmittel und das Chaos immer im Blick. Wir haben eine große Fototapete angebracht, aus dem Arbeitszimmer einer Villa in Südfrankreich blickt man aufs Meer. Davor stehen der Esstisch, ein gelbes und ein oranges Regal und eine Wandleuchte. Im Regal über unserem Esstisch bewahre ich Erinnerungsstücke aus Marokko auf, wie unsere Tajine (eine Art Schmorgefäß aus Ton), ein kleines Kamel und Gewürztöpfchen.

Wichtig war uns, dass alles großzügig geschnitten ist und es bloß keine Enge gibt. Das lange Küchenbord, das an einem Ende frei steht, ist toll, weil man sich dort wie an einer Bar gegenüberstehen und sich unterhalten kann. Es macht die Küche dynamischer.

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Ich wollte unbedingt auch große Schubladen haben. So ist es leichter, Sachen herauszunehmen, alle meine Öle stehen zum Beispiel in der Schublade unter dem Herd. Gläser, Schüsseln für Müsli, Teller, die wir jeden Tag nutzen, sind in offenen Regalen verstaut, während wir in Oberschränken all das unterbringen, was uns verrückt macht. Dazu zählen sperrige Gegenstände wie Teimaz’ persischer Reiskocher.

Was noch fehlt, ist eine Discokugel. Manchmal kommen Freunde vorbei, und wir tanzen hier zu arabischer Musik. In der Küche können wir rauchen, trinken, tanzen und gleichzeitig essen, also einfach leben.

Joe Osae-Addo, 60, Architekt, lebt mit seiner Ehefrau, dem gemeinsamen Sohn und zwei Hunden in einem zweistöckigen Einfamilienhaus in einem Vorort der ghanaischen Hauptstadt Accra

Als ich die Küche vor zwanzig Jahren plante, war mir wichtig, dass es kein Durcheinander gibt. Vor allem mussten die Geräte von höchster Qualität sein, denn in Accra ist das Klima feucht, und die Meeresluft lässt alles rosten. Fazit nach zwanzig Jahren: Die Geräte funktionieren immer noch einwandfrei. Ich habe eine Einbauküche von Bulthaup, die meisten meiner Hightech-Geräte sind aus Deutschland. Der Herd ist von Gaggenau, der Geschirrspüler von Miele. Ich bin auch ein Fan von Ikea. Ich liebe mein buntes Messerset, meine Gläser und meine Bambusteller von dort. Wenn ich Häuser für Kunden entwerfe, importiere ich Ikea-Küchen aus Europa oder den USA nach Westafrika, um sie hier einzubauen. Wenn sie schön kombiniert sind, sehen die Küchenmodule richtig edel aus. Europäer sollten das mehr wertschätzen, finde ich. Hier ist Ikea etwas Besonderes.

Der Küchenbereich wirkt immer aufgeräumt, denn dahinter verbirgt sich eine Kammer, quasi eine geheime zweite Küche, in der Chaos herrscht. Die Kammer ist das Gegenteil der richtigen Küche, eine Müllhalde. Aber niemand kann sie sehen, das ist der Sinn der Sache. In Ghana essen wir viel Maniok, Kochbananen und Bananen, das ist alles da versteckt. Der Kühlschrank, ein Waffeleisen, sogar die Mikrowelle befindet sich da. Es gibt auch eine Spüle und Arbeitsplatten, damit wir traditionell ghanaisch kochen können, wobei es ein bisschen chaotischer zugeht als beim europäischen Kochen. Wenn du Zugang zu dieser Küche hast, bist du Teil der Familie.

Einbauküchen sind in Ghana eine ganz neue Sache. Viele Menschen sind noch auf Außenküchen angewiesen. Sie haben eine Feuerstelle und benutzen Holzkohle, das ist die traditionelle Methode. Von unserem Herd schmecken die Gerichte bestimmt genauso gut. Was es in unserer Küche immer gibt, sind Mangos, denn jeden Tag vor dem Schlafengehen esse ich geschnittene, eisgekühlte Mangos. Kann ich sehr empfehlen.

Mel Ottenberg, 45, Chefredakteur des Magazins "Interview" und langjähriger Stylist von Rihanna, lebt in einer Altbauwohnung in Downtown Manhattan, nahe dem Washington Square Park

Ich koche kaum, und in New York hat man oft diese Küchen, die grundlos riesig sind und viel Platz einnehmen. Als ich die Wohnung zum ersten Mal sah, dachte ich: Wow, diese Küche ist unglaublich. Sie ist winzig und perfekt für einen Typen wie mich. Vor acht Jahren habe ich das Apartment gekauft, danach bat ich Jim Walrod, es umzugestalten. Walrod war ein New Yorker Design-Guru und Möbelhändler, er hat Hotels in Manhattan eingerichtet oder Mike D von den Beastie Boys mit Möbeln versorgt. Ich kannte ihn nur von Instagram und mochte seinen Stil. Ich erzählte ihm, dass mein Fetisch die Siebzigerjahre sind – wie sie in Egon von Fürstenbergs Buch The Power Look at Home: Decorating for Men dargestellt sind.

Diese Ästhetik wollte ich bei mir wiederfinden. Jim half mir, meiner Küche das nötige Facelifting zu verpassen: Wir haben einen schwarzen Pirelli-Gummibodenbelag verlegt und die Wand, an der sich die Spüle befindet, verspiegelt, um den Raum mehr zu öffnen und ihm Tiefe zu verleihen. Außerdem haben wir schwarze Lichtschienen angebracht. Viele der Schränke, etwa der unter dem Waschbecken, waren aus hässlichem Holz, die haben wir mit glänzendem weißem Laminat überzogen. Das fällt zwar schon ab, aber es macht mir nichts aus, dass es alt und rissig aussieht. Mein Herd ist ein schicker Gaggenau-Herd, das hört sich toll an, aber es ist ein Albtraum. Ich habe das Handbuch gelesen, aber ich verstehe das Gerät einfach nicht – was, bitte, ist Induktion? Er wird nie heiß, und bis das Nudelwasser kocht, vergehen 45 Minuten.

Eine weitere Baustelle ist der Geschirrspüler, er ist defekt, der Kühlschrank leckt, und die Eismaschine im Gefrierschrank ist kaputt. Ich muss mal daran denken, den Handwerker anzurufen. Zum Glück sind diese Geräte hinter Schranktüren versteckt. Auf meinem laminierten Wandbord steht ein Ensemble aus verchromten Objekten. Vieles davon, zum Beispiel die hübsche Schüssel, stammt aus einem Laden in Tokio, dessen Namen ich immer vergesse. Er ist in der Nähe des Harajuku-Viertels. Und dann steht da noch dieser Timer in Form eines Cheeseburgers, von dem ich ehrlich gesagt nicht weiß, ob ich ihn jemals benutzt habe. Daneben befindet sich eine Schachtel, die wie ein langes Rechteck aussieht. Als Jim Walrod 2017 an einem Herzinfarkt starb, wurden seine Sachen versteigert. Jims Stil war so beliebt, dass ich nur diese unglaublich schöne Schachtel kaufen konnte. Es ist eine Art Drogenkiste aus den Siebzigerjahren. Als ich noch Drogen nahm, bewahrte ich sie darin auf, aber diese Zeiten sind vorbei.

Ein großes Foto von einem meiner Lieblingsfotografen verdeckt einen hässlichen Sicherungskasten an der Küchenwand. Es ist von Gary Lee Boas, einem Paparazzo, der sich in den Achtzigern sehr für das Rotlichtmilieu in New York interessierte. Ich habe eine große Vorliebe für Pornostars aus dieser Zeit. Das Foto zeigt eine Bar namens Badlands aus den Achtzigerjahren, die an der Ecke West Street/Christopher Street lag. Diese Aufnahme zeigt das Leben in meiner Nachbarschaft vor der Aids-Krise.

Zu dem Küchenblock gegenüber dem Waschbecken kann ich nicht viel sagen. Dort stehen eine Schüssel aus Marokko und ein Stifthalter von eBay. Ich reise viel und bin sehr gesellig, aber ich bin auch gerne zu Hause, es ist erholsam für einen Einzelgänger wie mich. In meiner Wohnung empfange ich momentan nur selten Gäste, aber dennoch ist sie ziemlich wild eingerichtet, einfach weil ich Design liebe, nicht um vor anderen anzugeben. Ich bin nicht reich, ich will nur nicht einfach leben.

Morgens nach dem Aufwachen gehe ich in die Küche und koche Kaffee mit meiner Filterkaffeemaschine, die ich von meiner Mutter habe. Ich besitze eine riesige Kaffeebecher-Sammlung, wahrscheinlich um die fünfzig Stück. Sie sind nicht einmal alle besonders schön, aber ich liebe einfach jedes einzelne Exemplar. Die River-Phoenix-Tasse mag ich am liebsten, die habe ich von meinem Ex-Freund bekommen. Ansonsten habe ich keine festen Morgenroutinen. Manchmal arbeite ich vom Bett aus, oder ich gehe früh in die Redaktion. Und manchmal lebe ich morgens auch einfach nur faul in den Tag hinein, checke Instagram, schreibe in meine Gruppenchats oder rufe meine Oma an.

In meinem Kühlschrank findet man grüne Trauben, Eier, Salat, Karotten, Fresca, eine Diätlimonade aus den Neunzigern, die ich wiederentdeckt habe. Außerdem Senf, Kapern, ein paar alte Sachen, die nicht mehr da sein sollten, vielleicht ein paar Reste von einem Take-away-Gericht. Ich bestelle oft Essen zum Mitnehmen, versuche aber, mich gesund zu ernähren, sonst kann ich nicht klar denken. Gerne benutze ich Stoffservietten. Selbst wenn ich alleine zu Hause Take-away-Zeug esse, sie sind einfach glamouröser als Papierservietten.

Ich habe seit Jahren keine Dinnerparty mehr geschmissen. Dabei nennen meine Freunde meine Wohnung "Club Mel", weil ich früher irre Partys veranstaltet habe. Ich möchte wieder mehr Leute auf Drinks oder zum Dinner oder zum Backgammonspielen einladen. Obwohl ich nicht mehr trinke, mag ich es, Spirituosen im Haus zu haben, es gibt immer eine Flasche Wodka im Gefrierschrank und einen Vorrat an Champagner im Schrank über dem Kühlschrank. Ich trinke sehr gerne Tee oder eben Fresca. Oder Wasser mit Zitrone. Die Leute lachen mich immer aus, weil ich aus diesen großen Karaffen trinke. Warum sollte ich ein Glas nehmen? Die Karaffen haben einfach mehr Stil.

Wunderbarer Artikel, machen Spaß, diese vielfältigen Eindrücke. Und wie sie beschrieben sind.

Wie viele Leute können sich solche Küchen leisten? Schon gar in Accra.

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